Interview Elke von Oehsen

13.06.2022    Karate

Gesprächspartner/in: K. Helmers, B. Lienstedt, C.-M. Westphal (Mai 2022)

Wie fing es mit dem Karate in Deutschland an und warum hast du mit Karate angefangen?

Mein persönliches Ziel, mit Karate anzufangen war: unabhängig werden, sich nichts gefallen lassen müssen, stark sein, sich behaupten zu können, d.h. das Führen eines selbstbestimmten Lebens zu ermöglichen und den Mut dazu zu haben.

Anfang der 70er Jahre war die Gesellschaft in Deutschland sehr widersprüchlich, bigott, konservativ und frauenfeindlich. Einige Beispiele können das verdeutlichen: Verheiratete Frauen durften kein eignes Girokonto haben, der Ehemann konnte ohne Wissen der Frau deren Arbeitsstelle kündigen und Frauenfußball und Wettkämpfe im Karate waren für Frauen verboten. Über eigene Bedürfnisse wurde nicht gesprochen, das war tabu. Es gab keine Diskussionen über sexualisierte Gewalt oder Übergriffe auf Frauen, denn nach gängiger Ansicht war das immer selbst provoziert. Kinder und Ehefrauen durften geschlagen werden. Der Geist des 3. Reiches war noch lebendig und Konformität der jungen Leute war das Ziel der Älteren. Alle Versuche für Veränderungen hin zu einer toleranteren, offeneren Gesellschaft wurden abgeblockt.

Es war aber auch eine Zeit der Suche nach neuen Werten, nach Spiritualität jenseits der Kirchen und es herrschte eine Aufbruchsstimmung bei den jungen Menschen.

Japan wollte wirtschaftlich in Europa Fuß fassen und schickte daher auch Kampfsportler quasi als Botschafter, die ein positives Image des Landes vorbereiten sollten, daher wurden die Kampfsportarten zunehmend populärer und es gab mehr und gute Trainer. Die Eastern z.B. mit Bruce Lee erregten viel Aufmerksamkeit und machten Lust auf Kampfsport und die ungewöhnlichen Fähigkeiten der Kampfsportler.

Karate wurde damals sehr hart trainiert, Verletzungen wurden in Kauf genommen. Heute wäre das Körperverletzung und die Härte würde nicht mehr akzeptiert.

Karate zu können verhieß stark, respektiert und unabhängig sein zu können und bot über die Auseinandersetzung mit Zen, Buddhismus, der speziellen japanischen Ästhetik, der Bedeutung der Intuition im Gegensatz zum Rationalismus usw. Einblicke in eine neue, faszinierende Welt, die einen ganz anderen Blick auf die eigene Gesellschaft ermöglichte.

 

Wie hat sich das Karate im Laufe der Zeit verändert?

Karate hatte zunächst das Image des Außergewöhnlichen, Extremen, Mystischen, das Menschen mit offensichtlich ungewöhnlichen Fähigkeiten hervorbrachte. Dann wurde es versportlicht, der Selbstverteidigungsaspekt für Frauen kam hinzu und die Härte fiel weg. Heute kann man Karate unter Wettkampfaspekt mit sehr viel Schnelligkeit und Beweglichkeit professionell ausüben, als (leistungsorientierten) Breitensport, als Gesundheitssport, als Behindertensport, als Sport für Kinder, für Jukuren (Ältere) unter Ki- oder Kyusho-Aspekten usw. Vielleicht hat das dazu geführt, dass Karate heute für Außenstehende kein eindeutiges Image mehr hat und schwer greifbar ist.

 

Wie geht es nach so vielen Jahren weiter?

Lernen im Karate ist nie zu Ende. Dabei spielt die Symbiose von Körper und Geist eine wichtige Rolle. Die angestrebte Harmonie von Körper und Geist und damit die Schärfung der Selbst- und Fremdwahrnehmung ist wichtig für das Prinzip der Vervollkommnung. Dazu gehört auch der Shintoaspekt, dass andere besser werden sollen als man selbst, dass die Entwicklung anderer akzeptiert und gefördert wird. Dadurch kann man die Entwicklung der anderen, an der man vielleicht aus verschiedenen Gründen selbst nicht mehr teilhaben kann, besser akzeptieren und sich damit arrangieren.

Die Konzentration bei Partnerübungen und beim Kämpfen auf einen Punkt (physisch und psychisch) fördert die Fokussierung, dabei bestimmt der Gegner den Zeitpunkt, d.h. man muss sich auf eine andere Person sehr schnell und vollkommen einlassen, wie man das eher in jungen Jahren macht.

Bei den Partnerübungen werden zwar vorgegebene Übungen praktiziert, aber durch eigenes Nachdenken werden die Übungen erst zum Leben erweckt. Das erfordert einen Transfer und ein über das Vorgegebene hinausgehen, was den Geist flexibel erhält.

Beim Üben im Karate müssen ständig neue Entscheidungen getroffen werden, über die Einschätzung des Partners/Gegners, die Situation, die eigenen Möglichkeiten und diese müssen in Entschlossenheit im Handeln münden, um erfolgreich zu sein. Die Entscheidungsfähigkeit wird damit gefördert.

Mit dem Älterwerden gibt es Veränderungen, die zwar verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden können.

Dennoch kann man auch im leistungsorientierten Breitensport immer noch routinierter werden und sich weiterentwickeln, wie im normalen Leben auch. Routine spart Energie.

Gerade im Karate wird das Gewohnte immer wieder in neuen Zusammenhängen oder unter anderen Schwerpunkten geübt. Dadurch entstehen immer wieder neue psychische, aber auch physische Herausforderungen, die eine Auseinandersetzung mit Bekanntem erfordern. Das fordert Körper und Geist und bedeutet eine ständige Auseinandersetzung mit sich und anderen. Das ist gut für die eigene Psyche und verhindert Stillstand im Denken und Handeln.

Karateka gehören nachweislich zu den fitten Sportlern, da die Anforderungen hoch und vielfältig sind. Das merkt man auch im Verglich mit anderen Gleichaltrigen. Außerdem fördert die körperliche Belastung die Ausschüttung von Glückshormonen und damit die Zufriedenheit. Das steigert ganz entschieden die Lebensqualität.

Durch die geistige und körperliche Fitness bleibt der eigene Radius erhalten. Man traut sich etwas zu, ist auch später noch bereit, Risiken einzugehen und sich auf Neues einzulassen. Das macht das Leben spannender. Oft wird in derselben Gruppe über Jahrzehnte geübt. Das ist das Gewohnte, das Vertraute, ein stressfreier Umgang miteinander, da man sich sehr gut kennt und viele gemeinsame Erlebnisse hat. Eine Gegenwelt zur sich schnell verändernden Umgebung und Arbeitswelt.

Dennoch gibt es auch hier keinen Stillstand. Es treffen Menschen aus unterschiedlichen Berufen und Lebenswelten aufeinander, dazu kommen ständig neue, junge Menschen, mit denen man sich auf sportlicher aber auch intellektueller Ebene auseinander setzten muss.

 

Wenn wir die alten Budo Größen befragen, ist ein tägliches Training von 6-10 Std. Standard. Wenn man das nicht will, was können wir den jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Die Leute, die das sagen, sind diejenigen, die ihren Sport professionell betrieben haben. Das war auch nie das Gros der Karatetreibenden in Japan. Das waren die paar Ausnahmen, die das zu ihrem Job gemacht haben. Die gibt es heute auch noch.

Wir reden über Breitensportler, die noch andere Interessen haben. Die hat es in Japan auch gegeben, aber die wurden nicht berühmt und auch nicht interviewt. Wenn du dich nicht reinkniest, dann wirst du auch nicht so gut, dass du herausragend bist. Dann macht dir das Spaß, dann hast du dein Umfeld, das dir gefällt und mit dem du dich verbunden fühlst, aber dann wirst du nicht berühmt.

 

 

Meinst du, man kann Karate so lange betreiben, wenn man das auf einer solchen lockeren Grundlage macht?

Ich glaube, man kann das auf allen Ebenen sehr lange betreiben, solange man für sich selbst einen Sinn darin sieht, und dieser Sinn kann etwas sehr Verschiedenes sein. Für die einen ist es die Fitness für die anderen die Gemeinschaft usw. Die Frage ist, wo will der Einzelne hin und worauf spezialisiert er sich? Ich hatte seinerzeit auch 6/7 Tage die Woche trainiert, aber daneben noch andere Sportarten betrieben, sodass es während des Karatetrainings nicht um Kondition und Fitness ging, sondern um Karate. Daneben interessierte mich Japan, der Kontakt mit Großmeister Teruo Kono kam dazu. Karate war also nicht nur die Trainingszeit, sondern zentraler Bezugspunkt in meinem Leben. Andere Sportler trainieren vielleicht auch 7 Tage die Woche, aber eben nur während der Trainingszeiten. Davor und danach hat das keine Bedeutung für sie. Für mich war das immer eine Lebenseinstellung und hat mir viele verschiedene Facetten eröffnet, in die ich immer tiefer eindringen wollte. Was tut sich in Japan, wie verändert sich das Land, die Kultur, die Lebensweise und Umgangsformen, … Und ich merke, wenn ich mit Leuten rede, die nichts mit Karate zu tun haben, an den Rückmeldungen, dass ich viel „japanischer“ bin als mir bewusst ist.

 

Ist das „japanische“ essenziell für Karate/Budo oder eher etwas Individuelles? Es hat sich bei dir so ergeben, war nützlich und hilfreich für das tiefere Verständnis, aber muss man unbedingt tun?

Man muss das nicht machen. Mir persönlich hat es sehr viel gegeben. Besonders der Perspektivwechsel war für mich spannend, d.h. von einer anderen Warte zu gucken, was wir hier machen bzw. normal finden. Das hat mich in meinem Körpergefühl, meiner mentalen Einstellung, bei Stressbewältigung, Prioritätensetzung und in vielen anderen Bereichen beeinflusst.

Für mich war das wie eine neue Tür aufmachen, etwas völlig anderes kennenzulernen und aus japanischer Sicht auf Deutschland zu gucken. Das war und ist für mich immer noch spannend. Viele Jahre war alles, was mit Karate zu tun hatte, für mich das Wichtigste. Das Studium, die Promotion, der Job war emotional nicht das Wichtigste. Damit konnte ich an viele Sachen in meinem Alltag viel gelassener herangehen, die habe ich engagiert gemacht, aber emotional waren sie nicht „wichtig“, von daher auch nicht belastend, sie konnten mich nicht aus der Balance bringen.

Ich habe<s> </s>auch viel vom japanischen Design gelernt. Wie man Stimmung und Atmosphäre durch Ästhetik und Gestaltung beeinflussen kann. Ich kann durch die Veränderung meiner Umgebung selbst bestimmen, wie meine Stimmung ist. Das sind Dinge, die bei uns in der Kultur nicht so vorkommen.

Karate ist ein sehr individueller Weg, der viel Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen Menschen verlangt. Durch die Rituale im Karate wird die Konzentration auf das Wesentliche gelenkt, was zu einem Abschalten vom Alltag führt und damit entscheidend zur Stressbewältigung beitragen kann. Außerdem lernt man sehr schnell, dass Härte gegen sich selbst zu Fortschritten führt, aber Härte gegen andere eher nicht. Damit wird automatisch die Philosophie des Karate vermittelt, die auf die persönliche Entwicklung, die Selbstanalyse und Selbsterkundung abzielt.

 

Du bist eine Meisterin. Was bedeutet das für Dich?

Ich habe große Hochachtung vor den „Meistern“, die nicht wegen dieses Titels Respekt einfordern, sondern sehr hart an sich gearbeitet und etwas Besonderes erreicht haben, dabei intelligente, nette, humorvolle Menschen sind.

Eine „Meisterin“ bin ich, da andere mir dies mit dem 8. Dan durch die entsprechende Prüfung zugebilligt haben. Ich selbst wollte einfach immer weiter in die Materie eindringen, deshalb bin ich so weit gekommen. Wenn andere der Meinung sind, ich könnte ihnen etwas geben oder vielleicht sogar als Vorbild dienen, dann freut mich das.

 

Verändert sich dadurch auch der alltägliche Umgang mit Menschen?

Auf einem Lehrgang sagte ein kleines Mädchen zu mir, dass sie einmal so werden möchte wie ich. Was habe ich da wohl in dem Mädchen bewegt? Ich denke, das ist es, was eine „Meisterin“ ausmacht: etwas in anderen Menschen zu bewegen. Sein Ziel als „Meisterin“ hat man wohl erreicht, wenn man dazu beigetragen hat, Menschen zu guten, ausgeglichenen, humorvollen, eigenständigen und aufgeschlossenen Menschen, die vielseitig interessiert sind, zu machen bzw. sie darin zu unterstützen. Obwohl Karate ein Kampfsport ist, hat es eine pazifistische Philosophie. Durch eigene Stärke, innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit sollen Auseinandersetzungen vermieden werden.

Ich versuche im Training immer andere weiterzubringen, sie dazu anzuhalten, ihre eigenen Potentiale optimal zu nutzen und zu entwickeln.

Meine eigene Entwicklung ist ein wichtiger Teil von mir und natürlich immer in meinem Leben präsent. In allem, was ich tue. Dies prägt auch meinen Umgang mit anderen. Das passiert automatisch im persönlichen Kontakt, z.B. wenn jemand frustriert ist und ich Vorschläge mache, versuch doch mal mit deinem Frust so oder so umzugehen. Oder im täglichen Umgang mit Menschen, welche Position nehme ich im Raum ein, welchen Abstand, wann provoziere ich bzw. wie vermeide ich Provokationen, wie groß oder klein mache ich mich.

Ich setze das ein, wenn ich will, dass die Menschen um mich herum ein bestimmtes Verhalten zeigen sollen oder wenn es im persönlichen Kontakt um Problembewältigung geht, wo ich dann versuche, viele Lösungsmöglichkeiten anzubieten.

Ich buhle nicht um die Sympathie von Leuten. Ich komme gut allein zurecht. Und diese Autonomie oder Souveränität fällt manchmal auf.

Auch im Umgang mit aggressiven Menschen bleibe ich ruhig und habe keine Angst. Das merken die Menschen auch, ohne zu wissen, welchen Hintergrund das bei mir hat.

Es geht nicht um Spektakuläres, das läuft subtiler.

 

Ist das die besondere Kampfkunst-Aura? Können wir das auch bekommen?

Natürlich. Aber das heißt auch selbst tief eintauchen. Mit Feuer, Freude, Eifer trainieren und alles Gelernte ins eigene Leben integrieren. Budo ist eine Lebenseinstellung. Da gibt es die Trennung zwischen Sport und übrigem Leben nicht. Alles wirkt in alles hinein und macht uns zu einem ganzheitlichen Menschen, daher ist neben der physischen auch die geistige und mentale Seite im Budo so entscheidend. Budo kann auch Spiritualität beinhalten.

 

Kannst Du als Trainerin so etwas steuern?

Im Grunde steuert das der/die Trainer/in bei jedem Training, weil du die Leute immer wieder aufforderst, etwas Bestimmtes zu machen, und das auf eine bestimmte Art und Weise. Sie werden aufgefordert, über die Übungen nachzudenken, die äußeren Formen, die Aufgabenstellungen. All das ist der Versuch, Leute dazu zu bringen, mehr einzutauchen. Sich tiefer mit sich, den anderen, der Aufgabe usw. auseinanderzusetzen. Aber ob sie das machen, müssen sie selbst entscheiden. Auch wenn ich versuche, auf jeden individuell einzugehen – mal mit einem Witz, mal mit einem Tipp oder einem taktilen Reiz. Das Ziel ist immer dasselbe: Ich möchte, dass du tiefer eintauchst und ausprobierst, wohin das führen kann. Ich schaffe einen Rahmen, damit sich jede*r mit sich selbst auseinandersetzt. Und das mit allen Facetten.

Die Menschen merken, du traust ihnen das zu, dass sie etwas erreichen, sich verändern können. Die asiatische Herangehensweise ist, dass wenn sich jemand Mühe gibt, er alles erreichen kann, was er will. Unser westliches Denken ist eher talentiert - untalentiert, das lohnt – das lohnt sich nicht. Diese Selektion ist im asiatischen Denken nicht enthalten. Es geht darum, jeden Einzelnen dahin zu bringen, wo er hinkommen kann oder möchte. Ohne nach einem „objektiven“ Maßstab zu bewerten, wie weit er es bringen kann.

Nicht nur objektive Leistungsanreize, sondern dieses persönlich „an einen glauben“. Vielleicht so ähnlich wie in der Familie. Eltern glauben auch anders an die eigenen als an andere Kinder. Und hier ist es mehr so, als wären alle<s>s</s> deine eigenen Kinder. Du gehst mit einer anderen emotionalen Nähe an Menschen heran. In der japanischen Kultur ist es nicht wichtig, ob es Blutsverwandtschaft gibt oder nicht, ob es die eigenen Kinder oder adoptierte Kinder sind. Die Nähe zueinander ist wichtig.

Die Förderung und Entwicklung ist im Budo-Sport auf eine viel längere Zeit ausgerichtet. Es gibt Phasen, z.B. die Wettkampfphase, die sollte man haben, aber dann kommen weitere Phasen, die genauso wichtig sind. Es gibt keine minderwertigen Phasen. Und du bist nicht irgendwann „am Ende“. Es gibt kein Ende. Wer sich engagiert, kann immer weiter machen. Wie, das muss jeder herausfinden. Und wenn du Glück hast, findest du eine gute Trainerin, die dich begleitet und dir Anregungen gibt.

 

Hat sich Dein Bild vom Menschen in all den Jahren verändert?

Ja. Am Anfang hat es mich mehr verändert. Jetzt sind die Veränderungen nicht mehr so groß. Am Anfang war die Faszination eines anderen Menschen- und Weltbildes. Das hat damals mein Leben auf den Kopf gestellt. Mit Karate kamen viel mehr innere Gelassenheit und eine Stärke, Stress und äußere Angriffe nicht an mich herankommen zu lassen. Dadurch konnte ich viel souveräner überlegen, wie ich mit solchen Situationen umgehe. Du musst dich nicht persönlich getroffen fühlen. Das bringt eine innere Ruhe, so dass ich für mich eindeutig entscheiden kann, wo muss/will ich Kompromisse eingehen und wo bin ich kompromisslos. Dann ist es mir auch egal, ob andere den Kopf schütteln, weil die gar nicht wissen, wer ich bin und welchen Prozess ich durchmache.

Karatephilosophie ist, dass alle gleich sein sollen, alle sollen auf Kommando reagieren, aber eigentlich geht es um etwas anderes. Es geht darum herauszufinden, wer sind die Leute, die sagen „ich mache, was ich für richtig halte“ und(!) die auch die Stärke, den Mut und das Selbstbewusstsein haben, das durchzuziehen.

 

Könnte man sagen, dass es für hohe Meistergrade eine gewisse Disposition gibt?

Es geht vor allem darum, sich für eine Sache zu engagieren und diese Konstanz, Durchhaltevermögen, Ausdauer, Geduld über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. Ein wenig Talent und Glück, dich im Karate nicht zu verletzen, brauchst du auch. Sonst kannst du das nicht so lange machen. Und im Karate darf man nicht zimperlich sein, da man immer wieder eigene Grenzen überwinden muss. Dadurch entwickelt sich schließlich die eigene mentale Stärke.

Vor allem, wer den nötigen Fleiß aufbringt, kommt zur Spitze. Viele talentierte Leute haben angefangen, aber haben auch schnell aufgegeben. Sie gehen nicht diesen kontinuierlichen, beschwerlichen Weg. Das sind Talentierte nicht gewohnt. Sie sind gewohnt, dass es schnell Fortschritte gibt. Dann kommen sie mit ihrem Talent bis zu einem bestimmten Punkt, aber sie machen dann keine 30 oder 40 Jahre Karate. Die Leute, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie sich etwas erarbeiten müssen, die wissen, wie das geht. Talentierte müssen sich nichts erarbeiten. Darauf verlassen sie sich. Scheitern ist da nicht vorgesehen.

Und Karate ist auf lange Zeiträume angelegt. Wartezeiten zwischen den Prüfungen, hohe Dan-Grade erst mit einem Mindestalter usw. Da kommt man mit Talent allein nicht hin.

 

Was stellst du dir denn für die nächsten 20 Jahre vor?

Ich arbeite weiter an mir. Ich finde immer wieder Sachen, ich werde ja auch nicht kräftiger oder schneller, die ich durch Technik und Taktik verbessere. Ich finde ganz viele Sachen, die ich jahrelang unbewusst, automatisch gemacht habe, die mir jetzt auffallen und die ich jetzt erklären kann. Ich muss bewusster herangehen und da staune ich, was ich alles gelernt habe in den Jahren, ohne dass es mir bewusst war. Das kann ich jetzt anders in Übungsformen verpacken, anders verbalisieren, das wird jetzt bewusst.

Ich denke, es geht darum, eine bestimmte Gelassenheit zu entwickeln. Manche Dinge kann ich nicht mehr, damit muss ich mich arrangieren. Das bedeutet aber nicht, dass ich mein Engagement verliere. Es geht um einen bewussten Umgang und um ein Nicht-Nachlassen. Es gibt kein “Das-reicht-mir-jetzt“. Es ist immer noch der gleiche Weg, nur dass ich immer wieder hinterfrage, kann ich etwas anderes in die Waagschale werfen. Was hat sich verändert und was kann ich stattdessen noch mit hineintun.

Ich wurde einmal von einem Menschen gefragt, was ich anders machen würde, wenn ich wüsste, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. Meine Antwort: Ich mache so weiter wie bisher, denn mehr als sich ständig zu bemühen, alles optimal zu machen (z.B. auch den widersprüchlichen Anforderungen in Beruf, Privatleben, den eigenen Wünschen zu genügen), kann man nicht.

 

 

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